Der jüngst erschienene, von der
Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung und dem BUND herausgegebene „Fleischatlas
2018“ ist lesenswert. Er bringt zwar keine wirklich neuen Erkenntnisse,
durchstreift aber als fundierte Bestandsaufnahme die Frage, wie wir mit Tieren
als Lebensmittel umgehen [1].
"Guter Wille, wenig Wissen": Fleischatlas 2018 |
Ergebnis: Die Deutschen essen zwar
immer weniger Fleisch, aber immer noch viel zu viel. 59 Kilo Fleisch verzehrte
der Durchschnittsdeutsche im Jahr 2016. Das ist gegenüber 2011 (knapp 63 kg)
nur ein kleiner Rückgang. Und das sind rund 160 Gramm pro Tag und Nase. Zugleich
wächst der Exportmarkt. Zum Beispiel nach China. Der Fleischverzicht der
Deutschen führt also keineswegs zu einer Einschränkung der Massentierhaltung
hierzulande – ganz im Gegenteil. Umdenken sieht anders aus.
Sicherlich auch eine Debatte
wert ist das Thema „Nose to Tail“, also der gedankliche Ansatz, dass wir ein
Tier, wenn wir es schon töten, es möglichst vollständig verwerten sollten. Richtig
daran ist, dass es nicht gut sein kann, wenn für die feierliche
Festgesellschaft mit 50 Personen und das Schweinefilet auf dem Buffet ein
halbes Dutzend Tiere sterben muss, und der Rest landet dann in der Wurst. Aber
wollen wir tatsächlich in Zukunft Nierenzapfen, Euter und Schweineschwanz
essen? Nicht ohne Grund hat der Fleischatlas den entsprechenden Artikel mit
„Schlachtabschnitte“ überschrieben.
Interessant ist, dass das „Nose
to Tail“-Thema dort insbesondere in der Sterneküche verortet wird. Und, ja,
tatsächlich, mit den geschmorten Kalbsbäckchen (kein Filet!) befinden wir uns meist
in der gehobenen Küche, sie sind landauf, landab auf den Speisekarten feiner
Lokale zu finden. Selbst der profane Schweinebauch ziert – kunstvoll zubereitet
– Sterne-Menüs. Das ist im Grunde nicht schlecht, vielleicht genau der richtige
Weg (und im Übrigen ja auch ein Grundbestandteil der klassischen Kochausbildung).
Aber ich sehe keine abstrahlende Wirkung auf die allgemeine Gastronomie, auf das
allgemeine Ernährungsverhalten. Überspitzt gesagt: Was nützt es, wenn
Sterneköche Schlachtabfälle für 100 Euro verkaufen, der normale Bürger aber
sein Schweinefilet weiterhin für Kleingeld beim Discounter kauft? Das ändert gar
nichts.
Und wie sieht es bei Gemüse und
Obst aus? Die Haushalte in Deutschland haben im vergangenen Jahr im Schnitt
163,7 kg davon in ihre Einkaufskörbe gepackt, teilten die Veranstalter der
Messe Fruit Logistica unlängst mit [2]. Bei einer durchschnittlichen
Haushaltsgröße von zwei Personen (lt. Statistischen Ämtern) wären das also rund
224 Gramm pro Person und Tag. Das liegt deutlich unter den Empfehlungen der Deutschen
Gesellschaft für Ernährung von 625 Gramm pro Tag [3].
Zu viel Fleisch, zu wenig
Gemüse. Das ist die schlichte Bilanz. Da hat sich nicht wirklich etwas getan. Warum
ist das so? Vielleicht deshalb, weil die Verbraucher zwar theoretisch bereit
wären, mehr Geld für Fleisch aus artgerechter (oder sagen wir lieber:
lebenswerter) Tierhaltung zu bezahlen, aber verunsichert sind, woran sie das
überhaupt erkennen können. Auch dazu liefert der Fleischatlas Fakten. Fast 90
Prozent der Befragten gaben an: „Wenn Tiere für unser Essen sterben müssen,
sollen sie vorher gut gelebt haben“. Das ist das Wunschdenken.
Rund 45 Prozent geben aber
zugleich an, dass sie nicht wissen „woran ich Fleisch aus artgerechter Haltung
erkennen kann“, weitere 33 Prozent sind da unsicher. Und deshalb greifen sie
eben doch zum Billigfleisch aus dem Sonderangebot und dann darf’s eben auch
gerne etwas mehr sein. Und sie sind sich darüber auch völlig im Klaren: Fast 90
Prozent stimmen der Aussage zu, dass Verbraucher trotz Tierschutz-Wunsch beim
Einkauf doch nur auf den Preis achten. So ganz allgemein. Doch für sich selbst
geben nur etwa 35 Prozent zu, dass sie beim Fleischeinkauf dann doch „sehr auf
Sonderangebote“ achten. „Guter Wille, wenig Wissen“ haben die Autoren diese
Statistik überschrieben. Das ist die Realität.
Dabei ist es relativ einfach:
Mit dem Bio-Siegel und den Erzeugerverbänden wie Bioland und Demeter gibt es
längst etablierte Maßstäbe für nachhaltige Erzeugung und Tierwohl. Aber wenn
man dann das Hähnchenbrustfilet im Bio-Laden in der Hand hat, stellt man fest,
wie unglaublich teuer das ist. Zu recht. Weniger Fleischkonsum funktioniert nur
über deutlich höhere Preise.
Erst dann, wenn die marinierte Kilo-Fleischpackung
im Supermarkt für das Grillfest nicht mehr 3,59 Euro kostet, sondern 35,90 Euro
– erst dann werden wir umdenken. Das ist die Wahrheit.
[1] https://www.boell.de/de/2018/01/10/fleischatlas-2018-rezepte-fuer-eine-bessere-tierhaltung
[2] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/haushalte-geben-etwas-mehr-aus-mehr-obst-und-gemuese-eingekauft-100.html
[3] https://www.dge.de/wissenschaft/weitere-publikationen/fachinformationen/obst-und-gemuese-die-menge-machts/
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