Mittwoch, 7. Februar 2018

„Guter Wille, wenig Wissen“

Der jüngst erschienene, von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung und dem BUND herausgegebene „Fleischatlas 2018“ ist lesenswert. Er bringt zwar keine wirklich neuen Erkenntnisse, durchstreift aber als fundierte Bestandsaufnahme die Frage, wie wir mit Tieren als Lebensmittel umgehen [1].

"Guter Wille, wenig Wissen": Fleischatlas 2018


Ergebnis: Die Deutschen essen zwar immer weniger Fleisch, aber immer noch viel zu viel. 59 Kilo Fleisch verzehrte der Durchschnittsdeutsche im Jahr 2016. Das ist gegenüber 2011 (knapp 63 kg) nur ein kleiner Rückgang. Und das sind rund 160 Gramm pro Tag und Nase. Zugleich wächst der Exportmarkt. Zum Beispiel nach China. Der Fleischverzicht der Deutschen führt also keineswegs zu einer Einschränkung der Massentierhaltung hierzulande – ganz im Gegenteil. Umdenken sieht anders aus.

Sicherlich auch eine Debatte wert ist das Thema „Nose to Tail“, also der gedankliche Ansatz, dass wir ein Tier, wenn wir es schon töten, es möglichst vollständig verwerten sollten. Richtig daran ist, dass es nicht gut sein kann, wenn für die feierliche Festgesellschaft mit 50 Personen und das Schweinefilet auf dem Buffet ein halbes Dutzend Tiere sterben muss, und der Rest landet dann in der Wurst. Aber wollen wir tatsächlich in Zukunft Nierenzapfen, Euter und Schweineschwanz essen? Nicht ohne Grund hat der Fleischatlas den entsprechenden Artikel mit „Schlachtabschnitte“ überschrieben.

Interessant ist, dass das „Nose to Tail“-Thema dort insbesondere in der Sterneküche verortet wird. Und, ja, tatsächlich, mit den geschmorten Kalbsbäckchen (kein Filet!) befinden wir uns meist in der gehobenen Küche, sie sind landauf, landab auf den Speisekarten feiner Lokale zu finden. Selbst der profane Schweinebauch ziert – kunstvoll zubereitet – Sterne-Menüs. Das ist im Grunde nicht schlecht, vielleicht genau der richtige Weg (und im Übrigen ja auch ein Grundbestandteil der klassischen Kochausbildung). Aber ich sehe keine abstrahlende Wirkung auf die allgemeine Gastronomie, auf das allgemeine Ernährungsverhalten. Überspitzt gesagt: Was nützt es, wenn Sterneköche Schlachtabfälle für 100 Euro verkaufen, der normale Bürger aber sein Schweinefilet weiterhin für Kleingeld beim Discounter kauft? Das ändert gar nichts.

Und wie sieht es bei Gemüse und Obst aus? Die Haushalte in Deutschland haben im vergangenen Jahr im Schnitt 163,7 kg davon in ihre Einkaufskörbe gepackt, teilten die Veranstalter der Messe Fruit Logistica unlängst mit [2]. Bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von zwei Personen (lt. Statistischen Ämtern) wären das also rund 224 Gramm pro Person und Tag. Das liegt deutlich unter den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung von 625 Gramm pro Tag [3].

Zu viel Fleisch, zu wenig Gemüse. Das ist die schlichte Bilanz. Da hat sich nicht wirklich etwas getan. Warum ist das so? Vielleicht deshalb, weil die Verbraucher zwar theoretisch bereit wären, mehr Geld für Fleisch aus artgerechter (oder sagen wir lieber: lebenswerter) Tierhaltung zu bezahlen, aber verunsichert sind, woran sie das überhaupt erkennen können. Auch dazu liefert der Fleischatlas Fakten. Fast 90 Prozent der Befragten gaben an: „Wenn Tiere für unser Essen sterben müssen, sollen sie vorher gut gelebt haben“. Das ist das Wunschdenken.

Rund 45 Prozent geben aber zugleich an, dass sie nicht wissen „woran ich Fleisch aus artgerechter Haltung erkennen kann“, weitere 33 Prozent sind da unsicher. Und deshalb greifen sie eben doch zum Billigfleisch aus dem Sonderangebot und dann darf’s eben auch gerne etwas mehr sein. Und sie sind sich darüber auch völlig im Klaren: Fast 90 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Verbraucher trotz Tierschutz-Wunsch beim Einkauf doch nur auf den Preis achten. So ganz allgemein. Doch für sich selbst geben nur etwa 35 Prozent zu, dass sie beim Fleischeinkauf dann doch „sehr auf Sonderangebote“ achten. „Guter Wille, wenig Wissen“ haben die Autoren diese Statistik überschrieben. Das ist die Realität.

Dabei ist es relativ einfach: Mit dem Bio-Siegel und den Erzeugerverbänden wie Bioland und Demeter gibt es längst etablierte Maßstäbe für nachhaltige Erzeugung und Tierwohl. Aber wenn man dann das Hähnchenbrustfilet im Bio-Laden in der Hand hat, stellt man fest, wie unglaublich teuer das ist. Zu recht. Weniger Fleischkonsum funktioniert nur über deutlich höhere Preise.

Erst dann, wenn die marinierte Kilo-Fleischpackung im Supermarkt für das Grillfest nicht mehr 3,59 Euro kostet, sondern 35,90 Euro – erst dann werden wir umdenken. Das ist die Wahrheit.


[1] https://www.boell.de/de/2018/01/10/fleischatlas-2018-rezepte-fuer-eine-bessere-tierhaltung
[2] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/haushalte-geben-etwas-mehr-aus-mehr-obst-und-gemuese-eingekauft-100.html
[3] https://www.dge.de/wissenschaft/weitere-publikationen/fachinformationen/obst-und-gemuese-die-menge-machts/


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