In unserem kleinen Wohnort vor
den Toren Hannovers passiert gerade folgendes: Die Gemeinde versucht, ein ganz hübsches
Lokal in recht zentraler, aber dennoch, nun ja, provinzieller Lage an einen
neuen Pächter zu vermieten. Für rund 1.600 Euro im Monat. Und da hat man Zeitungsberichten
zufolge seitens der Gemeinde auch ganz konkrete Vorstellungen, was die
Öffnungszeiten angeht. Von Frühstück über Mittagstisch bis zu längeren
Öffnungszeiten am Abend, vor allem am Wochenende, ja, das sollte dann schon
sein. Kurz gesagt: Immer geöffnet. Außerdem sollte auch noch bei Bedarf das
Catering für Veranstaltungen im benachbarten Bürgerhaus übernommen werden. Der
Kunstverein möchte ja auch essen. Natürlich preiswert. Und dafür suchen sie
jetzt einen neuen Pächter. Armer Kerl, der diesen Vertrag unterschreibt.
Denn dann muss der Betreiber Ware
und Personal ständig auch für Zeiten bereithalten, zu denen keiner (oder kaum
einer) kommt. Hier auf dem Land gibt es, anders als in der Stadt, keine
Studenten, die frühstücken gehen, keine Latte-Macciato-Mütter, keinen
Business-Lunch. Mittagstisch? Das wird dann gerne auch einfach mit einer Stulle
erledigt. Und für das Essen gehen mit der Familie ist es dann der Samstag
abend, aber nicht der Dienstag vormittag, und dann geht man auch lieber in die
gehobeneren Lokale und nicht zum Allzeit-bereit-Anbieter, egal, wie klasse da die
Burger sind. Das ist schade, aber nicht das Problem.
Das Problem ist: Hier will offenbar
ein Eigentümer (in diesem Fall eine Gemeinde, aber das gibt es auch gerne z. B.
bei Vereinsheimen oder privaten Eigentümern) einem Gastronomen vorschreiben,
welche Öffnungszeiten er anzubieten hat. Hallo? Die Öffnungszeiten sind ein
elementarer Bestandteil eines gastronomischen Konzeptes. Und genauso wie bei
Speisenkarte und Preisen, muss (muss!) ein Gastronom das Recht haben, seine
Öffnungszeiten nach eigener Entscheidung zu gestalten und ggf. anzupassen. Der
Betreiber trägt das wirtschaftliche Risiko, nicht der Eigentümer. Der
Eigentümer hat zunächst einmal nur Anspruch auf die Pacht. Und sonst auf gar
nichts.
Immer geöffnet, allzeit bereit?
So, wie wir das aus dem Internet kennen: 24 Stunden am Start, ein Klick, sofort
geliefert, am besten noch Umtausch inklusive? Zalando-Gastronomie? So kann man
vielleicht Schuhe verkaufen, aber nicht frisches Essen. So macht man Läden
kaputt, bevor sie überhaupt angefangen haben. Gastronomen und Köche müssen
kalkulieren können, sich vorbereiten können, sonst landet ganz viel im Müll, das
wollen wir doch auch nicht, oder? Und das bezahlen schließlich nicht die Gäste,
die nicht kommen, und auch nicht der Eigentümer, sondern die Gastronomen. Nebenbei:
Wundert sich da noch jemand, dass gerade in der Gastronomie der Mindestlohn für
die Angestellten massiv umgangen wird?
Nun könnte man allerdings auch
sagen: Selber schuld. Denn immer wieder fallen Betreiber auf völlig überzogene
Mietvorstellungen und/ oder astronomische Abstandszahlungen rein, um sich den
Traum vom eigenen Restaurant zu erfüllen. Wer sich auch nur ein bisschen in der
Branche auskennt, weiß von der Formel „Pacht mal acht“. Das ist der Faktor, um grob
über den Daumen zu peilen, welchen Umsatz ein Restaurant braucht, um Gewinn zu
erwirtschaften. Da ist schnell ausgerechnet, dass ein Laden, der 1.600 Euro pro
Monat kostet, bei 6 Öffnungstagen die Woche pro Tag rund 490,- Euro umsetzen
müsste. Das wären also zum Beispiel täglich 30 Gäste, die jeweils für rund 15,-
Euro essen und trinken. Das klingt erst mal nicht nach viel. Aber: Im
Durchschnitt, jeden Tag. Und ein Milchkaffee und ein Stück Kuchen am Nachmittag
sind eben nicht 15,- Euro, sondern nur 5,- Euro Umsatz. Und wenn es von Montag
bis Donnerstag nicht läuft, gerät die ganze Kalkulation massiv aus dem Gleichgewicht.
Das müsste dann am Wochenende zusätzlich (!) eingespielt werden. Das ist gerade
auf dem Land oft nicht möglich. Jeder Tag, an dem diese Rechnung nicht aufgeht,
bedeutet Verlust für den Betreiber. Denn die Betriebskosten und der Lohn für
die Angestellten muss ja in jedem Fall bezahlt werden. Letzteres zumindest
dann, wenn man sauber und ehrlich arbeitet.
Deshalb sterben Restaurants,
auch und gerade aufgrund von völlig abstrusen Pachtvorstellungen der
Eigentümer. Man kann sich das tagtäglich auf den Immobilienbörsen im Netz
ansehen. Dort liegen Objekte dauerhaft wie Blei herum, weil (zum Glück!) niemand,
der bei Verstand ist, ein 200-Quadratmeter-Lokal in drittklassiger Lage für
2.000 Euro im Monat pachtet und auch noch eine hohe fünfstellige Ablöse für das
80er-Jahre-Mobiliar im Gastraum und veraltete Küchentechnik bezahlt.
Liebe Eigentümer: Wenn ihr für
eure Gastro-Immobilie einen modernen, engagierten und professionellen Betreiber
haben wollt, dann reduziert eure Pacht auf einen realistischen Wert, der auch
zu erwirtschaften ist. Und redet eurem Pächter nicht rein bei seinem Konzept,
seinen Öffnungszeiten, seinen Preisen. Sonst kriegt ihr nur Amateure, die nach
drei Monaten Rosin anrufen.
Vielleicht müssen aber auch
Gäste ihr Verhalten gegenüber der Gastronomie überprüfen, wenn sie auch morgen
noch schöne, kleine Läden in ihrer Nachbarschaft vorfinden möchten und nicht
mehr nur die Filialen der großen Ketten, oder sich wundern, warum es auf dem
Land gar nichts mehr gibt.
Wenn unser Lieblingsrestaurant
im Ort eines Tages aufgeben sollte, wären wir fassungslos und bestürzt.
Aber wenn wir ehrlich sind, müssten wir zugeben, dass auch wir dazu beigetragen
hätten, weil wir immer wieder Ausreden hatten, dort nicht Essen zu gehen. Ich
lüge mich da raus, weil ich annehme, dass es genug andere Gäste gibt, die
diesen tollen Laden regelmäßig besuchen. Aber was, wenn ich mich irre?
Wir haben es jeden Tag selbst
in der Hand.