Sonntag, 29. Oktober 2017

Einspruch, euer Ehren.

Meine Regionalzeitung hat ein kleines Interview mit Marco Müller (2 Michelin-Sterne, Rutz, Berlin) veröffentlicht. Und hat ihn nach Zukunftsvisionen befragt. Er sagt: „Verschwinden werden Billigrestaurants, in denen einfach nur ein paar Tüten aufgerissen werden und das dann Kochen genannt wird.“

Schön wär’s. Wir erleben doch überall in den Städten den Siegeszug von Ketten, die vielleicht nicht Tüten aufreißen, aber mit Franchise-Konzepten und schlichter Küche den individuellen Anbietern den Markt versauen.

Und er sagt: „Kommen werden Restaurants, die frisches, gutes Essen anbieten – notgedrungen mit weniger Personalaufwand, denn die ganze Dienstleistungsbranche hat ja massive Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu finden.“

Einspruch, euer Ehren. Frische Küche mit regionalen Produkten bedeutet einen großen Aufwand, auch unterhalb der Sterne-Küche. Planung, Einkauf, Küche, Service – das ist eben nicht mit weniger (Personal-) Aufwand hinzukriegen. Sich um gute Lieferanten aus der Region zu kümmern, erfordert mehr Aufwand, als das Gemüse aus dem Katalog des Großhändlers auszuwählen. Gutes, frisches Essen kostet. Egal, auf welchem Niveau.

Im Sternelokal sind die Gäste bereit, relativ viel Geld für Essen auszugeben. Aber einfach nur sauberes Essen, ohne Glamour-Faktor? Das macht auch viel Arbeit. Und hat eben auch seinen Preis. Ich bin nicht sicher, ob Gäste bereit sind, dafür einen angemessenen Preis zu bezahlen, der es Gastronomen ermöglicht, zu überleben.

Weil der Gegenwert des Speisenpreises für viele Gäste eben nicht nur das tatsächliche Produkt auf dem Teller ist, sondern wesentlich auch der Glamour-Faktor des Essengehens. Das funktioniert natürlich in der Sternegastronomie. „Wir waren ja am Wochenende im Dings & Dingens essen, also das war ja…“. Oder so. Und danach kann man dann ja auch gleich smalltalkmäßig zu den aktuellen Preisen der angesagten SUVs übergehen.

Müller: „Bei den Gerichten selbst halte ich alles Umami-Angereicherte, also sehr aromenstarke Küche mit starkem asiatischen Einschlag, für den kommenden Trend.“ (Zur Erklärung: Umami ist der „herzhafte“ Geschmack, der sich beim Kochen entweder z. B. natürlich durch Tomatenmark - reich an Glutaminsäure - ergibt, oder aber durch künstliche Geschmacksverstärker wie Glutamat. Das ist dann die Aroma-Keule im China-Restaurant.)

Och, bitte, das kann es doch nun wirklich nicht sein. Die überwürzten Produkte, die wir an jeder Ecke kaufen können, sind doch Mist. Es muss doch darum gehen, den Lebensmitteln ihren Eigengeschmack zu lassen, und genau daran entlang zu kochen.

Und das passt auch gar nicht dazu, dass Müller in diesem Interview zugleich beschreibt, wie er in direkter Zusammenarbeit mit Erzeugern den perfekten Kohlrabi züchten lässt. Denn das ist dann schon wieder ziemlich beeindruckend.

Zitate-Quelle: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 28. Oktober 2017, „sonntag“, Seite 5


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