Montag, 25. September 2017

Sterneküche braucht kein Mensch

„Mit dem Essen spielt man nicht“, hat Oma gesagt. Gemeint war: Das ist mit Liebe und Zeitaufwand gemachtes ehrliches Essen, und ich möchte bitte, dass du das jetzt nicht aus lauter Langeweile auf dem Esstisch verteilst. Wer Kinder hat, versteht, was ich meine.

Sterneküche ist so etwas Ähnliches. Nur für Erwachsene. Zerpflücktes Essen, spielerisch auf einem Teller verteilt, Nahrungsmittel mit Messer und Mixer ihrer Substanz und durch die Zubereitung oft ihrer Nährstoffe beraubt, mehr oder weniger sinnvoll auf einer Platte drapiert, hauptsächlich bunt, essbare Blüten sind unverzichtbar, und vor allem ganz, ganz kunstvoll. Damit es auf dem Facebook-Posting auch so richtig knallt. Aber: Hat es dem Gast eigentlich auch wirklich geschmeckt? Und was hat der Gast da eigentlich gegessen? Hat er ein gutes Essen im eigentlichen Sinne bekommen? So wie Oma es gemeint hat? Oder hat er nur ein wahnwitzig aufwändiges Kunstwerk genossen, um sich selber dafür abzufeiern, dass er sich das leisten kann?

„Jeder Teller ein Gemälde, jeder Teller gleich“, hat Christian Rach mal postuliert, als er noch das Tafelhaus in Hamburg führte und den Michelin-Stern verteidigen musste. Ohne den Stern wäre er ja vermutlich niemals RTL-TV-Star geworden. Oder Kochbuch-Bestsellerautor. (Seine ersten Bücher gehören übrigens zu den besten, die TV-Köche so herausgebracht haben.) Wenig später ist er ausgestiegen. Warum bloß?

Immer wieder schmeißen Sterne-Köche hin. Zuletzt – unter großem Geraune in der Branche – der französische 3-Sterne-Koch (!) Sébastien Bras. Er will einfach nicht mehr im „Michelin“ gelistet sein. Zu hoher Druck. Gegenüber dem SPIEGEL teilte der Michelin-Herausgeber schmallippig mit, es sei noch nicht entschieden, ob Bras aus dem Restaurantführer genommen werde. Der Guide sei „nicht für Köche gemacht, sondern für Kunden“. [1] Aber vielleicht auf Kosten der Köche?

Das Problem bei den Michelin-Sternen ist: Sie müssen immer wieder verteidigt werden. Man kann sie wieder verlieren. Sie sind für Köche ein Nobelpreis, der wieder aberkannt werden kann. Das gibt es so in keiner anderen Branche. Man stelle sich nur einmal vor, der Literatur-, Friedens- oder Medizin-Nobelpreis würde den damit Ausgezeichneten zwei Jahre später einfach wieder aberkannt, weil ihre Leistungen, nun ja, in der Folge eben doch nicht mehr so ganz den Ansprüchen der Auszeichnung genügen. Unvorstellbar. Desaströse Folgen für die eigene Reputation. Für Sterneköche ist aber genau das die brutale Realität. Der Nobelpreis auf Abruf.

Das macht einfach nur kaputt. Kaum einer hält das wirklich aus. Und kaum einer gibt es zu. Die Frage ist: Warum sich das antun?

Ich kenne Köche, die in Restaurants gearbeitet haben, die im Gault Millau mit 18 (von 20 möglichen) Punkten bewertet waren, und wo in der Küche die Flasche Grappa stets zur Selbstbedienung bereit stand – und zwar während und nicht nach der Arbeitszeit. Und das Angebot wurde genutzt.

Seien wir doch mal ehrlich: Sterneküche ist zumeist nicht mehr als die Bespaßung gelangweilter Besserverdiener. Mit Essen hat das nicht mehr viel zu tun. Schäume, Essenzen und allerlei Fragmente auf dem Teller – schön und gut. Sieht toll aus, und, im besten Fall, schmeckt es aufregend. Nur: das braucht kein Mensch.

Gerade schwer angesagte Zubereitungsmethoden wie Fermentieren (noch in) oder Einkochen (schon wieder out) stammen aus der Steinzeit. Eine Zeit, in der es noch keine Kühlschränke gab. Da mag das auch sinnvoll gewesen sein. Heute ist das nur eine weitere Trend-Sau, die durchs Dorf getrieben wird. Darauf können wir gerne verzichten.

Was wir brauchen, ist sauber gekochtes Essen für Menschen, die nicht 100 Euro für ein Abendessen ausgeben können (oder wollen), die aber bereit sind, vielleicht 15 oder 20 Euro für ein Essen auszugeben, das sich vom allgegenwärtigen Dreckskram für 4,99 € abhebt.

[1] http://www.spiegel.de/stil/spitzenkoch-sebastien-bras-gibt-seine-sterne-an-michelin-zurueck-a-1169065.html