„Mit dem Essen spielt man nicht“,
hat Oma gesagt. Gemeint war: Das ist mit Liebe und Zeitaufwand gemachtes
ehrliches Essen, und ich möchte bitte, dass du das jetzt nicht aus lauter
Langeweile auf dem Esstisch verteilst. Wer Kinder hat, versteht, was ich meine.
Sterneküche ist so etwas
Ähnliches. Nur für Erwachsene. Zerpflücktes Essen, spielerisch auf einem Teller
verteilt, Nahrungsmittel mit Messer und Mixer ihrer Substanz und durch die
Zubereitung oft ihrer Nährstoffe beraubt, mehr oder weniger sinnvoll auf einer
Platte drapiert, hauptsächlich bunt, essbare Blüten sind unverzichtbar, und vor
allem ganz, ganz kunstvoll. Damit es auf dem Facebook-Posting auch so richtig
knallt. Aber: Hat es dem Gast eigentlich auch wirklich geschmeckt? Und was hat
der Gast da eigentlich gegessen? Hat er ein gutes Essen im eigentlichen Sinne
bekommen? So wie Oma es gemeint hat? Oder hat er nur ein wahnwitzig aufwändiges
Kunstwerk genossen, um sich selber dafür abzufeiern, dass er sich das leisten
kann?
„Jeder Teller ein Gemälde,
jeder Teller gleich“, hat Christian Rach mal postuliert, als er noch das Tafelhaus
in Hamburg führte und den Michelin-Stern verteidigen musste. Ohne den Stern
wäre er ja vermutlich niemals RTL-TV-Star geworden. Oder
Kochbuch-Bestsellerautor. (Seine ersten Bücher gehören übrigens zu den besten,
die TV-Köche so herausgebracht haben.) Wenig später ist er ausgestiegen. Warum
bloß?
Immer wieder schmeißen
Sterne-Köche hin. Zuletzt – unter großem Geraune in der Branche – der
französische 3-Sterne-Koch (!) Sébastien Bras. Er will einfach nicht mehr im
„Michelin“ gelistet sein. Zu hoher Druck. Gegenüber dem SPIEGEL teilte der
Michelin-Herausgeber schmallippig mit, es sei noch nicht entschieden, ob Bras
aus dem Restaurantführer genommen werde. Der Guide sei „nicht für Köche
gemacht, sondern für Kunden“. [1] Aber vielleicht auf Kosten der Köche?
Das Problem bei den
Michelin-Sternen ist: Sie müssen immer wieder verteidigt werden. Man kann sie
wieder verlieren. Sie sind für Köche ein Nobelpreis, der wieder aberkannt
werden kann. Das gibt es so in keiner anderen Branche. Man stelle sich nur einmal
vor, der Literatur-, Friedens- oder Medizin-Nobelpreis würde den damit Ausgezeichneten
zwei Jahre später einfach wieder aberkannt, weil ihre Leistungen, nun ja, in
der Folge eben doch nicht mehr so ganz den Ansprüchen der Auszeichnung genügen.
Unvorstellbar. Desaströse Folgen für die eigene Reputation. Für Sterneköche ist
aber genau das die brutale Realität. Der Nobelpreis auf Abruf.
Das macht einfach nur kaputt.
Kaum einer hält das wirklich aus. Und kaum einer gibt es zu. Die Frage ist: Warum
sich das antun?
Ich kenne Köche, die in Restaurants
gearbeitet haben, die im Gault Millau mit 18 (von 20 möglichen) Punkten
bewertet waren, und wo in der Küche die Flasche Grappa stets zur
Selbstbedienung bereit stand – und zwar während und nicht nach der Arbeitszeit.
Und das Angebot wurde genutzt.
Seien wir doch mal ehrlich:
Sterneküche ist zumeist nicht mehr als die Bespaßung gelangweilter
Besserverdiener. Mit Essen hat das nicht mehr viel zu tun. Schäume, Essenzen
und allerlei Fragmente auf dem Teller – schön und gut. Sieht toll aus, und, im
besten Fall, schmeckt es aufregend. Nur: das braucht kein Mensch.
Gerade schwer angesagte
Zubereitungsmethoden wie Fermentieren (noch in) oder Einkochen (schon wieder
out) stammen aus der Steinzeit. Eine Zeit, in der es noch keine Kühlschränke
gab. Da mag das auch sinnvoll gewesen sein. Heute ist das nur eine weitere
Trend-Sau, die durchs Dorf getrieben wird. Darauf können wir gerne verzichten.
Was wir brauchen, ist sauber
gekochtes Essen für Menschen, die nicht 100 Euro für ein Abendessen ausgeben
können (oder wollen), die aber bereit sind, vielleicht 15 oder 20 Euro für ein Essen
auszugeben, das sich vom allgegenwärtigen Dreckskram für 4,99 € abhebt.
[1]
http://www.spiegel.de/stil/spitzenkoch-sebastien-bras-gibt-seine-sterne-an-michelin-zurueck-a-1169065.html