Montag, 20. Februar 2017

Grober Unfug

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat es wirklich nicht leicht in diesen Tagen. Gerade erst stieß ihre Plakat-Kampagne mit Knaller-Reimen für mehr Tierwohl („Steht das Schwein auf einem Bein, ist der Schweinestall zu klein“) auf, sagen wir mal vorsichtig, nicht nur zustimmende Resonanz. Landwirtschaftsfunktionäre verfielen reihenweise in Schnappatmung.

Und jetzt das: Wie das Investigativ-Medium „Bild“ am Wochenende enthüllte, hat es die Ministerin gewagt, eine hausinterne Richtlinie auszugeben, wonach Gäste des Ministeriums von Caterern vegetarisch (!) versorgt werden sollen. Schnell wurde gezetert: Kommt jetzt der einst von den Grünen (mit wenig durchschlagendem Erfolg) propagierte „Veggie-Day“ durch die Hintertür?

Was für ein Unfug. Hendricks Sprecher Michael Schroeren wies Medienberichten zufolge ganz lapidar darauf hin, dass die Ministerin, wie jede Gastgeberin, entscheiden könne, was bei ihr auf den Tisch kommt. Recht hat sie. Dennoch hagelte es teils heftige Kritik, etwa von der stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Gitta Connemann: „Eine solche Volkserziehung per Speiseplan lehnen wir ab.“

Nur noch mal zum Mitschreiben: Die Ministerin hat keineswegs ein Gesetz angekündigt, dass Unternehmen oder Privatleute dazu zwingen würde, ihre Gäste in Zukunft nur noch vegetarisch zu beköstigen. Tante Erna darf zum 80. Geburtstag gerne auch die Schlachteplatte servieren. Frau Hendricks hat einfach nur Regeln für ihr eigenes Haus festgelegt. Und die Teilnehmer von Pressekonferenzen oder Tagungen im Umweltministerium werden es überleben, wenn keine Mettbrötchen auf der Häppchenplatte liegen.



Sonntag, 19. Februar 2017

Vegan in Limburg

Eine Veganerin in Limburg hat sich bei der Stadt darüber beschwert, dass im täglichen Glockenspiel einer Kirche auch die Melodie von „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ erklingt. Insbesondere an der Liedzeile „Sonst kommt dich der Jäger holen, mit dem Schießgewehr“ hat sie sich gestört. Oder, besser gesagt, an der Stelle im Lied, wo in der gesungenen Version der Jäger vorkommt. Denn das Glockenspiel ist natürlich rein instrumental. Also doch irgendwie vegetarisch.

Wie dem auch sei: Bürgermeister Marius Hahn hat den Fehler gemacht, diese Wortmeldung sehr, sehr ernst zu nehmen und tatsächlich das Lied aus dem Repertoire zu nehmen, zumindest vorübergehend. Und irgendwer hat’s im Netz ausgeplaudert. Folge: Die Medien von Süddeutsche.de über Spiegel bis zur Huffington Post hatten eine leckere Schlagzeile und berichteten genüsslich. Und viele andere mehr, die abgeschrieben haben. Und die sozialen Medien blubberten über.

Wieder mal ein Fall von künstlich erzeugter Relevanz in der öffentlichen Wahrnehmung. Normalerweise hätte dieses „Ereignis“ niemals die Stadtgrenzen von Limburg verlassen, ja nicht einmal die Mauern des Rathauses dieser Stadt. Es wäre bestenfalls beerdigt worden in einer Montag-Morgen-Arbeitsbesprechung eines Bürgermeisters mit seinem Pressereferenten. Oder etwas in der Art. Ganz bestimmt aber hätte sich das im echten Leben niemals bundesweit verbreitet und hätte – ob seines armseligen Nachrichtenwertes – die Aufmerksamkeit von sehr vielen unschuldigen Menschen auf sich gezogen. Aber das Bizarre findet ganz schnell seinen Weg.

Generationen von Journalistenschülern wurde die Weisheit eingetrichtert, dass die Meldung „Hund beißt Mann“ keine Nachricht ist, die Meldung „Mann beißt Hund“ aber sehr wohl. Das könnte ein Grund sein.

Ich weiß nicht, wer mir jetzt mehr leid tut: Die arme Veganerin oder der Bürgermeister, die sich beide jetzt dem geballten Spott der Online-Öffentlichkeit ausgesetzt sehen. Oder wir, die wir unablässig mit belanglosem Info-Schrott belästigt werden. Was uns Lebenszeit kostet und uns Aufmerksamkeit raubt für Dinge und Menschen, die es verdient hätten.


Sonntag, 5. Februar 2017

Ein bisschen schwanger

Agrarminister Schmidt (CSU) hat nachgelegt. Das neue „Tierschutz-Label“, das er auf der Grünen Woche in Berlin vorstellte, soll Verbrauchern helfen, im Supermarkt Fleisch aus… ja was eigentlich?... ein bisschen artgerechterer Tierhaltung (?) zu erkennen. Ein bisschen mehr Platz im Stall. Das könnte dann wohl auch ein bisschen mehr kosten. Aber nicht zu viel, keine Angst. Denn billig soll es ja bleiben, unser täglich Fleisch. Mehr Tierwohl, das klingt doch gut. Und alles ganz freiwillig und unverbindlich. Eben nur ein bisschen mehr Tierwohl.
Das ist wie ein bisschen schwanger.

Ein Stern in Sachen Tierwohl. Bei Hotels heißt das "Einfache Ansprüche".

Dieses Label ist eine Luftnummer.
Wenn Verbraucher sich orientieren möchten, was die Herkunft oder die Haltungsbedingungen von Tieren angeht, gibt es bereits allerbeste Möglichkeiten: Entweder habe ich einen Schlachter meines Vertrauens, der mir erzählen kann, woher er seine Schweine und Rinder bezieht, zum Beispiel aus der Nachbarschaft, und dann kennt er auch die Betriebe und die Haltungsbedingungen.
Oder ich kann auf die Siegel von Bioland- oder Demeter-Betrieben vertrauen, die schon auf artgerechte Tierhaltung gesetzt haben, bevor sich irgendein Minister dafür interessiert hat. Selbst die vergleichsweise laschen Bestimmungen des EU-Bio-Standards stehen für ein Mindestmaß artgerechter Tierhaltung. All diese Betriebe werden kontrolliert und zahlen nicht unerhebliche Gebühren für ihre Bio-Zertifizierung. Zwischen diesen Formen der ökologischen Landwirtschaft und der industriellen Massentierhaltung liegen Welten. Das hat dann auch seinen Preis. Für den Minister sind das allerdings "Nischen-Luxus-Label".
Fakt ist: Kein Schwein braucht ein neues Tierschutz-Label.
Ganz im Gegenteil. Dieses Label trägt nur dazu bei, die Verunsicherung bei Verbrauchern zu erhöhen. Es fügt dem ohnehin schon recht unübersichtlichen Gestrüpp verschiedenster Siegel und Labels nur noch ein weiteres hinzu.
Wer es ernst meint und die Standards der konventionellen Tierhaltung stärker am Tierwohl ausrichten möchte, muss gesetzliche Vorgaben schaffen, also verbindliche Regeln, die für alle gelten. Die könnten dann kontrolliert und – bei Verstößen dagegen – sanktioniert werden.
Dieses „Tierwohl-Label“ ist nicht mehr als eine Karnevals-Plakette für Erzeuger, die die Tierhaltung der ökologischen Landwirtschaft für bescheuert halten, sich aber auch gerne mal ein Gutmenschen-Siegel aufkleben möchten. Und für Verbraucher, die glauben, ein ehemals glückliches Schwein zu kaufen, das trotzdem so erfreulich billig ist. Juhu, geht doch…!
Nein, geht leider nicht. Tierwohl und billiges Fleisch passen einfach nicht zusammen. Ein bisschen schwanger geht ja auch nicht.


Mittwoch, 1. Februar 2017

Auf den Leim gegangen

Food-Bloggerin Graziella kann sich kaum noch einkriegen. „Der Kochkurs war einfach super, wir hatten viel Spaß und konnten die Lebensmittel von enerBiO sehr gut kennenlernen. Die Qualität der Produkte hat mich voll überzeugt und die Auswahl ist enorm.“ Und „die Location war auch total schön“.
Auch Rebecca (Blog „Baby Rock my Day“) ist ganz hin und weg: „Die hauseigene Marke ist nicht nur Bio, sondern hat auch viele vegane, gluten- und laktosefreie Produkte im Angebot. Und nicht nur das, die Produktpalette umfässt“ [Autsch!] „ca. 330 verschiedene Produkte.“ Alles total supi hier.
Die Fakten:
Die Social-Media-Abteilung eines großen Drogerie-Unternehmens aus der Nähe von Hannover lud ein Dutzend Food-Bloggerinnen für ein Wochenende zu einem Event ein. Inklusive Übernachtung in einem hochpreisigen Landhotel in Garbsen, Kochkurs in einem Restaurant am Maschsee, Fotoshooting-Tipps vom Profi und allerlei mehr. Alles nicht ganz billig. Bezahlt vom Drogisten.
Zum Abschied gab es noch das Geschenk-Körbchen mit Produkten zum Mitnehmen. Bezahlt vom Drogisten.
Die vielen schicken Fotos vom Event, die auf den Blogs munter weiterverbreitet wurden, stammen nicht etwa von den Bloggerinnen selbst, sondern von einem gebuchten Profi-Fotografen. Bezahlt vom Drogisten.
Frage: Warum hat der Drogist das denn wohl alles bezahlt?
Vielleicht deshalb, weil die Bloggerinnen danach ganz brav die präsentierten Produkte in ihren Blogs abfeierten (und sie z. T. sogar noch direkt zum Online-Shop verlinkten)?
Durch solche Blog-Berichte wird die Relevanz von Produkten bestimmter Unternehmen künstlich verstärkt. Im echten Leben spielt das Bio-Angebot einer Drogerie-Kette nämlich zunächst keine besonders große Rolle für das Einkaufsverhalten. Weil die Leute ihre Bio-Lebensmittel in Bio-Läden oder -Fachmärkten kaufen, vielleicht auch im Supermarkt, aber bestimmt nicht im Drogerie-Markt. Dort kauft man Klopapier und Zahnpasta. Da das aber den Drogerie-Discountern nicht genügt, wittern sie ihr Geschäft auf fremden Feldern. Zum Beispiel bei Bio-Produkten. Und mit entsprechenden, sehr professionell organisierten Veranstaltungen für Food-Bloggerinnen (komisch: kein männlicher Blogger dabei) wird so eine scheinbare Relevanz erzeugt.
Diese Blogs tragen dann dazu bei, die Einkaufsgewohnheiten von Menschen umzuleiten. Es profitieren die Ketten und die Discounter. Wollen wir das?
Das Vermögen dieses Drogisten wird auf etwa zwei bis drei Milliarden Euro geschätzt. Damit kein Missverständnis entsteht: Es geht mir nicht um Milliardär-Bashing. Das wäre billig. Ich gönne dem Drogisten jeden Euro. Es ist legal und legitim, dass das Unternehmen versucht, mit den Möglichkeiten von Social Media seinen Umsatz zu erhöhen.
Nur: Man muss ja nicht dabei mitmachen.
Man hätte die Einladung des Drogisten auch einfach ablehnen können. Um die eigene Integrität zu wahren.
Vielleicht haben es einige ja auch getan. Und haben nicht darüber gebloggt, sondern sich einfach nur mit dem Finger an die Stirn getippt.
Das bleibt dann allerdings im Netz unsichtbar.